90 Jahre Burgenland: Grund zum Feiern - und Anlass für kritische Gedanken

    90 Jahre Burgenland - einige kritische GedankenAnmerkungen zu einem Land der zwei Geschwindigkeiten von NR Bgm. Franz Glaser.

    90 Jahre Burgenland sind ein Grund zum Feiern. Es ist das Verdienst unserer Vorfahren, dass unser Land zu Österreich gekommen ist, dass wir uns in unserem angestammten Kulturkreis entwickeln konnten und dass uns der Kommunismus erspart geblieben ist. Das Jubiläum sollte aber auch Anlass für eine kritische Betrachtung sein - gerade weil dafür rund um die offiziellen Feierlichkeiten wohl kein Platz sein wird.

     

    Ob es der Vielfalt des Landes und der Positionierung als offenes und modernes Grenzland entspricht, mit einer Oldtimerparade den Schwerpunkt der Feierlichkeiten zu bestreiten, scheint mir ohnehin fragwürdig. Zu hinterfragen ist auch die aktuelle burgenländische Landespolitik, die vom Solidargedanken der Entstehungszeit abgegangen und zu einer eigenartigen Klientel- und Machtpolitik übergegangen ist.

    In den 90 Jahren haben sich die wirtschaftlichen und strukturellen Gewichte immer mehr in den Norden verschoben. Das Mittel- und Südburgenland ist immer mehr in Rückstand geraten. 1923 lag die demographische Bevölkerungsmitte in der Nähe des Bernsteiner Bergs. Seitdem ist sie über den Sieggrabener Sattel "gewandert" und liegt nun in der Mitte des Mattersburger Bezirks. Heute lebt bereits die Hälfte der Burgenländer nördlich dieser gedachten Mittellinie. 

    1923 lebten 58,2 % der Bevölkerung im Süd- und Mittelburgenland und 41,8 % im Nordburgenland.
    2011 leben 47,5 % der Bevölkerung im Süd- und Mittelburgenland und 52,5 % im Nordburgenland.

    Jahrhundertelang war das Burgenland ein Land der Dörfer, die als Lebens- und Wirtschaftsmittel-punkte fungierten. Heute gehen immer mehr Dörfern - vor allem im Süden - Leben und Wirtschaft aus. Die Überalterung hängt wie ein Damoklesschwert über vielen Gemeinden. Erreichbarkeit und Verkehrsinfrastruktur sind die wichtigsten Faktoren für die Entwicklung einer Region. Wenn sie vernachlässigt werden - wie im Südburgenland -, ist wirtschaftlicher Rückstand die unweigerliche Folge. Vor 90 Jahren war der Bezirk Oberwart zwischen Steinamanger und Pinkafeld durch die Bahn erschlossen. Ab 1925 war er von Pinkafeld über Friedberg an die Wechselbahn angeschlossen. Vor 90 Jahren war auch Güssing via Eisenbahn an Steinamanger angebunden. Die Bahnverbindungen von Rechnitz bzw. Güssing nach Ungarn sind nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Eisernen Vorhang zum Erliegen gekommen. 2011 setzt sich diese Politik des Rückschritts fort: Durch die vom Zaun gebrochene Auflassung der Strecke Oberwart - Friedberg gibt es seit heuer zwischen Deutschkreutz und Jennersdorf keinen einzigen burgenländischen Kilometer Bahngleis mehr für den Personenverkehr. Außer der A2, die den Nordwesten des Oberwarter Bezirks streift, ist die Nord-Süd-Bundesstraße die einzige Verkehrserrungenschaft für das Südburgenland seit dem Zweiten Weltkrieg. Ihr Stellenwert ist allerdings massiv eingebrochen. Dutzende Kreisverkehre, Gewerbegebiete und Verbauungen führen dazu, dass die B 57 heute eine bessere Landesstraße, aber kein hochrangiger Verkehrsweg mehr ist. Der öffentliche Verkehr vom Süden in Richtung Landeshauptstadt ist zudem mehr als unterentwickelt. Die Verkehrsinfrastruktur des Südburgenlandes wurde in den letzten 90 Jahren nicht ausgebaut, sondern abgebaut.

    Die Einstufung des Burgenlandes als Ziel-1-Gebiet der EU wäre die historische Gelegenheit gewesen, die regionalen Ungleichgewichte innerhalb des Landes - vor allem in der Infrastruktur - abzubauen. Aber die Chance, die schwächeren Regionen aufholen zu lassen, wurde vertan - bewusst oder unbewusst. Ausgerechnet in der Ziel-1-Periode zwischen 1995 und 2009 ist das Bruttoinlandsprodukt des Nordburgenlandes um 22 % stärker gestiegen als jenes des Süd- und Mittelburgenlandes. In denselben 14 Jahren ist die Bevölkerungszahl im Norden um 11 % gestiegen, jene im Süd- und Mittelburgenland um 2 % gesunken.

    Mittlerweile wurde der Abbau der regionalen Disparitäten als erklärtes politisches Ziel fallen gelassen - obwohl es ausschließlich der strukturschwächere Süden war, der für die Zuteilung der Ziel-1-Milliarden ausschlaggebend war. Statt Solidarität innerhalb des Landes zu üben, dominieren politischer Machterhaltungstrieb, das Reagieren auf tagespolitische Themen und die Befriedigung einzelner Interessengruppen.

    Dabei wäre es höchste Zeit für eine zukunftsorientierte solidarische Politik für das gesamte Burgenland.

    NR Bgm. Franz Glaser

    NR Bgm. Franz Glaser